Die Region Dobrudscha (Dobrudža), eine Landschaft zwischen Donau und Schwarzmeer, war seit Jahrhunderten Zankapfel zwischen den Anrainer-Staaten. Obendrein hausten über 200 Jahre die Römer in dieser Region, dann übernahm Byzanz die Vorherrschaft. Zwischenzeitlich hatten sich die eingewanderten slawischen Bulgaren mit den einheimischen Thrakern vermischt. Und 1972 wurde Nähe der Schwarzmeer Stadt Varna ein sensationeller Fund gemacht, der berühmte „Goldschatz der Thraker“ aus viertausend Jahre alten Grabhügeln. Heute zu bewundern im archäologischen Museum in Varna und unbedingt einen Besuch wert. Das Dobrudscha-Gebiet teilen sich übrigens Bulgaren und Rumänen, wobei der größere Teil in Rumänien liegt. Im bulgarischen Teil befindet sich das sagenumwogene Kap Kaliakra.

Viele Legenden ranken sich um das einst so wilde Kap Kaliakra, heute eine nette Touristendestination mit annehmbaren Restaurants, Cafes und Hotels. Die 70 Meter hohen Felsen des Kaps sind stark zerklüftet und schimmern je nach Sonneneinfluss rotgolden. Mit Glück kann der Besucher kleine Delphine und Robben beobachten, die durch die Wellen schießen. Auch kleine Schwarzmeer Haie zeigen sich ab und an.

In den umliegenden Restaurants werden dem Gast als lokale Delikatesse kleine, schmackhafte Muscheln von hiesigen Muschelbänken offeriert. Golfer können am Kap auf spektakulären Plätzen ihre Schläger schwingen.

Sagen und Legenden

Im Jahre 323 v. Chr. soll ein Thraker Statthalter mit einem Staatsschatz (von Alexander dem Großen?) mit seiner ganzen Flotte vor dem Kap gesunken sein. Eine andere Legende erzählt von St. Nikola, dem Schutzpatron der Seefahrer. St. Nikola floh vor den Türken. Der felsige Boden unter seinen Füssen verschob sich immer mehr aufs Meer hinaus, bis Nikola nicht mehr fliehen konnte und letztendlich doch noch enthauptet wurde. So wäre das Kap entstanden. Heute steht dort eine Kapelle zur Erinnerung an den Märtyrer St. Nikola.

Die Mädchen

Besonders ergreifend aber ist die Legende des Mädchens Kaliakra und ihren blondbezopften Freundinnen, die den Freitod suchten, statt in einem türkischen Harem zu enden. In der letzten Höhle im Fels öffnet sich ein Bogenfenster über dem schwindelerregenden Abgrund. Hier schlagen die Wellen des Meeres donnernd gegen die Felsen. Diesen Teil des Kaps nennen die Bulgaren ‚Das Tor der vierzig Mädchen’.

Während der osmanischen Offensive eroberten die Soldaten des Sultans auch bulgarische Küstensiedlungen. Dörfer wurden geplündert und gebrandschatzt, nicht unüblich in diesen Zeiten.

Die Soldaten nahmen vierzig wunderschöne Bulgarinnen gefangen. Sie sperrten die Mädchen in eine der Felsenhöhlen am Kap und ließen sie unter strengster Bewachung zurück. Die Eroberer zündeten abends große Freudenfeuer an den Küsten an, um ihren Sieg zu feiern. Die vierzig Schönheiten sollten den Kriegern, die sich als besonders tapfer erwiesen hatten, zur Belohnung geschenkt werden.

“Diese vierzig Mädchen kamen aus den verschiedensten Dörfern Bulgariens, sie kannten sich nicht, aber das gemeinsame Schicksal ließ sie wie Schwestern fühlen. Sie wollten sich nicht von den fremden Eroberern missbrauchen lassen und überlegten tagtäglich gemeinsam, wie sie dem schrecklichen Schicksal entkommen konnten. Die mutigste der Mädchen schlug den einzig gangbaren Weg vor – sie müssten sich gemeinsam ins Meer stürzen, um ihre Ehre zu bewahren. Einige weinten und wehklagten, denn sie wollten noch nicht sterben. Doch das Mädchen Kaliakra, die Mutigste der Bulgarinnen, schlug vor, dass sie ihre langen Zöpfe zusammen binden sollten. So konnte keine vor Verzweiflung und Angst sich trennen, um dann doch noch in die gierigen Hände der Eroberer fallen. Das tosende Meer dürfte die einzigste Lösung geblieben sein, denn ein Freitod in den Wellen bewahrte die Frauen vor einem Dahinvegetieren im Harem. Kaliakra überzeugte nach langem Reden die zitternden Mädchen. Eigentlich waren sie noch viel zu jung, sie wollten das Leben im Kreise ihrer Familien genießen, heiraten, Kinder bekommen. Letztendlich entschlossen sich alle Mädels, doch gemeinsam den freiwilligen Tod zu wählen. Sie knoteten ihre blonden Zöpfe zusammen, und als die Sonne nach Westen zeigte, standen sie aufgereiht wie eine bunte Vogelschar am Rande des Abgrunds. Sie wagten den letzten Schritt und flogen mit ihren langen Zöpfen und ausgebreiteten Armen in die Tiefe; nun doch noch im letzten Moment nach Halt und Rettung suchend. Die herbeieilenden Soldaten waren von dem Anblick entsetzt, aber sie konnten sich nicht bewegen, um die Mädchen vor dem Sturz in die Meerestiefe zu retten. Alle vierzig Schönheiten wurden von den vom Sonnenuntergang rot gefärbten Wellen verschlungen und fanden den Tod am Fuße des felsigen Kaps.”

Sage erzählt von Elisaveta Sovtova

Auszug aus “Schoppska” von Maria Kahl

Bulgarien 2013